Schauplatz Getreidemarkt

Ein großes Politikum um einen kurzen Streckenabschnitt im Straßennetz von Wien erhitzt im Moment die Gemüter. Grund der Aufregung: Eine Umwidmung einer Fahrspur von Autofahrern zugunsten des Lückenschlusses im Wiener Radwegenetz. Boulevardpresse, Autofahrerklubs und eine mittlerweile kleine Wiener Oppositionspartei fühlen sich auf den Plan gerufen. Doch was steckt dahinter?

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Wien, Wien, nur du allein?

Während mittlerweile weltweit in vielen Metropolen wie in Paris ganze Straßenzüge für den Autoverkehr ersatzlos gesperrt, sogar ganze Autobahnen wie in Seoul abgebaut, Bicycle Superhighways wie in London gebaut und ganz allgemein in der ganzen Welt massiv in Fahrradinfrastruktur investiert wird, scheinen die Uhren in Wien noch etwas anders zu ticken (bzw. gehen etwas nach).

Hier führen noch mehrspurige Straßen mitten durchs historische Stadtzentrum und die Umwidmung einer Autospur von dreien zugunsten eines fehlenden Stück Radwegs rufen die Oppositionspolitik, den Boulevard und Autofahrerklubs auf den Plan.

Lokalaugenschein

Ich habe mich daher an einem normalen Arbeitstag am Freitagnachmittag zu Büroschlusszeiten zum Ort des Geschehens begeben, seht selbst:

Was ich dort nicht gefunden habe war ein Stau - Trotz Baustelle.

Die Baustelle ist wohlgemerkt noch nicht mal für den Radweg, sondern dient zum Tausch von Wasserrohren:

Die Videoaufnahmen der Oppositionspartei, welche vor der roten Ampel beim Museumsquartier gedreht wurden, sollen vor einem künftigen Stau warnen. 

Nun, ich werde nicht in Abrede stellen, dass es hier gelegentlich auch zu Stauungen kommt. Aber was sagt die zuständige MA 28 (Straßenverwaltung und Straßenbau) dazu?

Hier die Antwort: "Die Leistungsfähigkeit der Straße ist ausreichend. Staumäßig wird sich hier nichts Gravierendes verändern"

Mehr Spuren = Weniger Stau?

Die Logik "Mehr Spuren = Weniger Stau" bzw. den Umkehrschluss "Weniger Spuren = Mehr Stau" propagiert im Moment massiv die sich in Opposition befindliche Wiener ÖVP. Sie warb schon bei der letzten Wahl in Wien 2015 bereits mit dem Slogan "Autofahrer sind auch nur Menschen" und sank auf ein bisher noch nie dagewesenes historisches Tief von 9,3% in der Wählergunst. Unterstützung findet die ÖVP aber beim parteinahen Autofahrerklub der mit einer eigenen Website "Stau nach Plan" und Werbeeinschaltungen für die Aktion auf Facebook und mittels Google AdWords Stimmung macht. Um nicht zu einseitig zu erscheinen, bietet man eine scheinbare Alternative an: Die Radfahrer sollen einen Umweg über Seitenstraßen fahren wie die Schillerstraße.

Das ist sicher gut gemeint. Aber gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. Das Wiener Radwegenetz ist historisch bedingt bereits jetzt ein Fleckerlteppich, die Bereitschaft einen weiteren Umweg in Kauf zu nehmen, weil man keine Abstriche machen möchte, ist hier enden wollend. Davon abgesehen ist eine nicht-intuitive Führung des Radwegenetzes schon jetzt ein Problem, dass einer echten Lösung bedarf und nicht noch verstärkt werden sollte.

Da das Thema Radfahren und Autofahren allgemein ein Quotenhit ist und somit Werbeeinnahmen verspricht werden derartige Aktionen vom heimischen Boulevard wohlwollend aufgenommen.

Aber wie authentisch ist denn der Kern der Aussage "Weniger Spuren = Mehr Stau"? Ich habe Gernot Blümel von der Wiener ÖVP darauf angesprochen, er meinte:

Es ist gegen Vernunft und Hausverstand durch eine Fahrspur-Reduktion auf einer der Hauptverkehrsadern der Stadt einen künstlichen Stauknoten-Punkt zu erzeugen.

Komplexe Verkehrsmodelle dem Hausverstand anzuvertrauen und darauf aufbauend Politik zu betreiben kann schnell nach hinten losgehen. Denn so einfach ist das ganze nicht. So paradox es am ersten Blick erscheinen mag: Mehr Spuren führen zu mehr Verkehr. Am einfachsten "für den Hausverstand erklärt" könnte man es auch so ausdrücken: Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten". Oder anders formuliert: "Je attraktiver das Angebot für Autofahrer ist, desto eher wird es auch verwendet". Das erscheint vermutlich wieder logischer.

Bietet man keine vernünftigen Alternativen zum Auto an, werden sie auch nicht angenommen. Radfahrer um drei Ecken zu schicken, wenn sie doch eigentlich gerade ausfahren wollen, ist hierfür ein Beispiel wie man es nicht macht.

Was die Vernunft betrifft, nun hier wird es schnell ideologisch, aber dennoch darf man die Gegenfrage stellen: Ist es in einer modernen Verkehrspolitik überhaupt noch vernünftig mehrspurige Straßen durchs Stadtzentrum zu unterstützen, wenn gleich darunter im Minutentakt eine U-Bahnlinie wesentlich schneller und effizienter die Personen von A nach B befördert?

Wenn Ideologie ins Spiel kommt

Ideologie ist schnell ein Totschlagargument. Eine Erfahrung die ich in der Diskussion schon selbst gemacht habe. 

Im Interview mit dem Landesobmann der Wiener ÖVP meinte dieser: "Man soll Verkehrsteilnehmer nicht gegeneinander ausspielen. Es geht auch in guter Koexistenz."

Eine Aussage, die ich nur teilen kann. Gute Koexistenz bedeutet für mich faires Teilen des begrenzten Platzangebotes, dass Verbannen in Seiten- & Nebenstraßen zähle ich nicht dazu. Ich verfolge da eher die Devise "Lückenschluss statt Fleckerlteppich".

Doch ist Radfahren Rot-Grün und Autofahren Schwarz-Blau? Nein. Transportmittel sind tatsächlich politisch unabhängig, auch wenn man in Wien nicht das Gefühl hat. Hier wird vorschnell von "gegeneinander Ausspielen" gesprochen. Ich selbst nutze das Rad, Öffis, gehe viele Strecken zu Fuß und fahre auch mit dem Auto, mit dem Zug und fliege mit dem Flugzeug.

Mit den ideologischen Spielchen weiß ich daher wenig anzufangen. Vor allem wenn man es in einen internationalen Kontext setzt. Ein Beispiel: Der ehemalige Bürgermeister von London und nun Außenminister von Großbritannien, Boris Johnson, ist Mitglied der britischen Conservative Party, aber es war er, der Straßenspuren zugunsten der "Superhighways" für Radfahrer umgesetzt hat. Die Conservative Party ist noch wesentlich konservativer als es die ÖVP ist.

Es muss also nicht immer gleich alles ideologisch sein. In diesem Sinne:

Man soll Verkehrsteilnehmer nicht gegeneinander ausspielen. Es geht auch in guter Koexistenz.

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