Die Leopoldstadt hat gewählt

In meinen Vorartikeln "Zeit fokussierter Unintelligenz in der Leopoldstadt" Teil 1 und Teil 2 habe ich im Vorfeld der Wahl einige wichtige Themen aus der Leopoldstadt und dem Nordbahnhof-Grätzel im Speziellen bearbeitet. Ich habe in den vergangenen Wochen Vertreter aus diversen Parteien getroffen oder wurde aktiv kontaktiert, habe Ansichten geteilt oder widersprochen. Nun hat die Leopoldstadt gewählt und es wird Zeit diese Serie abzuschließen.

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Das Ergebnis

Die von der FPÖ angefochtene Bezirksvertretungswahl in der Leopoldstadt von 2015 wurde vergangenen Sonntag wiederholt.

Damals lag die FPÖ um 21 Stimmen hinter den Grünen auf Platz 3. Auf Platz 1 kam die SPÖ. Da das Abstimmungsergebnis zwischen Grünen und FPÖ denkbar knapp war, hat der VfGH der Anfechtung stattgegeben.

Das Wahlziel der FPÖ bei der Wahlwiederholung im September 2016 war Platz 1. Ergebnis: Aus 21 Stimmen Unterschied wurden 3.220. Für die Grünen wohlgemerkt. Während es den Grünen gelungen ist, um netto 769 Stimmen im Vergleich zum Jahr 2010 mehr zu gewinnen, sind der FPÖ 2.533 Wähler abhandengekommen und sie bleibt unverändert am dritten Platz.

Bitter die Lage auch für die SPÖ, sie verliert erstmals seit 1945 den Bezirksvorsteher und landet auf dem zweiten Platz. 9402 Wähler hat sie im Vergleich zu 2010 verloren. Viele der eigenen Wähler sind am Sonntag wohl erst gar nicht zur Wahl gegangen.

Die erste Wahlanfechtung in der Geschichte Österreichs resultierte auch in eine besonders geringe Wahlbeteiligung. Mit nur 35% ein historisches Tief. Allerdings: Die Bezirksvertretungswahlen in der Leopoldstadt waren kaum in den (Massen-)Medien wahrnehmbar. Da half auch das Einladen prominenter Spitzenpolitiker kaum. Dreieckständer waren zwar vorhanden, aber auch deren Anzahl war überschaubar. Vermutlich genießt die Wahl für die breite Masse der potentiellen Wählern, die kommunale Ebene wenig Relevanz. Unklar ist, ob man daraus Rückschlüsse für die (verschobene) Wahlwiederholung zum Bundespräsidenten machen kann.

Grüne am Siegespodest

Aus dem Duell um Platz zwei mit der FPÖ wurde überraschend der erste Platz. Ich ging noch am Wahlabend zur Siegesfeier der Grünen in ein Lokal am Karmeliterplatz und habe einige Parteimitglieder befragt. Mit dem Platz 1 hat dort niemand gerechnet, vermutlich die Spitzenkandidatin Uschi Lichtenegger selbst nicht. Entsprechend groß war die Freude. Nach Neubau und Währing gibt es nun mit der Leopoldstadt einen weiteren Bezirk in Wien, dem die Grünen vorstehen.

Wie nachhaltig dieser Sieg sein wird, wird von den nächsten vier Jahren abhängig sein. Vier Jahre sind nicht kurz, aber auch nicht lang. Außerdem wurde mit 35,34% zwar die relative Mehrheit erreicht, nicht aber die absolute. Es fehlen also knapp 15% auf die 50% Marke, die man wohl mit anderen Parteien finden wird müssen.

Die Redimensionierung der Parterstraße könnte trotz des ersten Platzes immer noch in den Sternen stehen: Im Wahlkampf haben sich sowohl SPÖ, FPÖ, ÖVP und NEOS gegen dieses Projekt ausgesprochen. Durch Brachialopposition könnten diese Parteien sich also äußerst unkooperativ zeigen und versuchen den Wahlgewinner handlungsunfähig zu machen.

Das Budget des Bezirkes war schon vorher angespannt, daher ist auch hier der Aktionsradius überschaubar. Es wird also nicht einfach werden für die Grünen, den Sieg tatsächlich abzusichern.

Konsequenzen für SPÖ, FPÖ und Kleinparteien

Noch diese Woche tagen die ersten Sitzungen in den Bezirksparteien und man wird über mögliche Konsequenzen nachdenken müssen. Es wird alles und jeder hinterfragt werden.

Ob die Parteien die Wähler verstanden haben, wird sich zeigen. In der Regel heißt es nach "Erdrutschsiegen", als solcher wird der Sieg der Grünen bezeichnet: "Man muss die Sorgen der Bevölkerung erst nehmen". Diese Aussagen kam dieses Mal zwar nicht auf, aber dennoch: Was wünschen sich Leopoldstädter? Dieser Frage bin ich in den Vorgängerartikeln ja schon auf den Grund gegangen, scheinbar haben sie die Antworten bei den Grünen gefunden.

Die Bevölkerungsschichten in der Leopoldstadt haben sich geändert. Der Bezirk wird "hip", die Wirtschaftsuniversität hat mehr Studenten in den Bezirk gelockt. Durch den massiven Bau neuer Wohnungen kamen Jungfamilien. Der weltweite Trend "Weg vom (eigenen) Automobil", hin zu neuen Verkehrskonzepten und neuen Formen der Mobilität sprechen auch im zweiten Bezirk viele Wähler an.

Ob man gerade diese Wählerschichten mit Karlheinz Hora (SPÖ) ansprechen konnte, bleibt fragwürdig, zu plump wirkten da manche Aussagen wie der "Kriegserklärung" beim Thema "Praterstraße" die man über Boulevardmedien in die Masse streute. Modern denkende Funktionäre in der Partei mussten sich der Linie Horas fügen und entsprechend Kompromisse eingehen. Sie, an seiner statt zu opfern, wäre wohl ein falsches Signal mit noch schlimmeren Folgen.

Auch in der FPÖ wird man wohl nachdenken müssen. Lang gediente "Kassenschlager" (wie Patriotismus, Verbrechensbekämpfung oder in der Kommunalpolitik auch Parkplätze & Autos) brachten nicht die gewünschten Ergebnisse. Man verlor in absoluten Zahlen sogar Wähler. Auch mit der Wahlwiederholung hat man sich grob verschätzt, hatte man 2015 noch 10.010 Stimmen, sind es bei der Wiederholung nur mehr 5.619.

Die ÖVP Wien versucht konsequent auf das Thema Auto und Parkplätze zu setzen. Kaum gibt es hier eine Veränderung die sich auch nur ansatzweise negativ auf die Zielgruppe der Autofahrer auswirken könnte, erfolgt schon fast reflexartig eine Presseaussendung. Unklar bleibt hier die Strategie: Denn seit 2010 verkleinert sich die Partei von Wahl zu Wahl. Eine Art der Selbstreflexion findet nicht statt, man setzt weiter auf das Thema mit dem man schon vorher verloren hat. Eine relevante Größe spielt man mit 6% nicht. Themen wie Wirtschaft, die traditionell der ÖVP zugerechnet werden, rücken immer mehr in den Hintergrund oder werden, wie in der Leopoldstadt geschehen, gar nicht mehr beworben. Einzelunternehmer überlässt man scheinbar komplett kampflos den NEOS.

Den NEOS fehlt nicht viel auf die ÖVP, aber es fehlt sehr viel für die politische Relevanz. Nur 685 Stimmen trennen die wirtschaftsliberalen NEOS von dem Bündnis "Wien ANDAS" dem auch die Kommunisten angehören.

Blick in die Zukunft

Es warten viele Aufgaben auf Uschi Lichtenegger. Mit dem Bau eines ganzen Stadtteils und vor allem dem Bildungscampus kommen viele neue Bewohner in die Leopoldstadt, mit ihnen auch mehr Verkehr und Autos.

Einfach wird es für sie sicher nicht werden. Sie braucht Kontakte und Verhandlungsgeschick. Um wieder gewählt zu werden, müssen auch Erfolge präsentiert werden und es müssen gegebenenfalls neue Wählerschichten angesprochen werden.

Aber auch für die anderen Parteien könnte es schwer werden. Verhindert man Projekte, könnte man als Blockierer abgestempelt werden. Außerdem wäre es bei der nächsten Wahl umso schwieriger vor den Grünen zu "warnen", denn wovor soll man "warnen", wenn doch eigentlich gar nichts passiert ist?

Unterstützt man Projekte, ist man bei einem Scheitern selbst dabei. Gelingt ein Projekt, könnte das Prestige beim Wahlgewinner bleiben.

Gewiss jedoch für uns Leopoldstädter ist: Die nächsten vier Jahre werden spannend, so oder so.

Quellangaben

Stadt Wien - Wahlergebnisse (Stand 19.9.2016 19:00, Vorläufiges Endergebnis inklusive Wahlkarten).

Siehe auch

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